Essentialismus: Die Lebensweise mit weniger aber besser
Essentialismus ist die notwendige Reaktion auf die steigende Überforderung und das Verschwinden von Bedeutung im Leben der meisten Menschen.

Die Welt scheint immer schneller zu werden.
Immer mehr Menschen haben das Gefühl, dass die wichtigen Sachen ihres Lebens in den Hintergrund geraten.
Essentialismus verspricht uns eine Antwort. Dabei handelt es sich nicht einfach um einen Trend. Schließlich ist es keine neue Philosophie. Die Ideen und Weisheiten reichen schon Jahrtausende zurück.
Doch das macht sie nicht weniger relevant – ganz im Gegenteil. Diese zeitlosen Ideen könnten dein Leben für immer zum Positiven verändern.
Was braucht es, damit du ein erfülltes Leben führen kannst?
Stell dir vor, du könntest ein Leben komplett nach deinen Vorstellungen leben. Du könntest tun, was immer du tun willst. Hättest keine Verpflichtungen. Immer ausreichend Geld – egal wie viel du brauchst. Du könntest wirklich komplett frei entscheiden.
Denkst du, du wärst glücklich?
Ich fürchte, viele Menschen wären es nicht.
Warum? Weil sie gar nicht wissen, was sie im Leben wollen. Was ihnen wichtig ist. Was sie glücklich macht.
So viele Menschen eifern einfach nur einem vorgeschriebenen Weg nach. In der Hoffnung am Ende etwas Tolles zu finden. Doch ich fürchte, würden sie ankommen, würden die meisten Menschen erstmal in eine Krise fallen. Verzweifelt nach einem Sinn suchen.
So viele Menschen gehen durchs Leben, ohne sich wirklich damit zu beschäftigen, was ihnen wichtig ist. Was sind die wichtigen Dinge in deinem Leben? Was sind für dich die wesentlichen Dinge?
Warum sollten wir nochmal warten, uns mit diesen Dingen zu beschäftigen? Warum können wir uns nicht gleich auf die wirklich wichtigen Dinge fokussieren? Alles Unwichtige beiseiteschieben?
Was wäre, wenn wir uns nur auf die wesentlichen Dinge fokussieren würden? Nicht immer mehr machen wollen? Nicht immer mehr haben wollen?
Stattdessen: Ein Leben nach unseren Vorstellungen leben. Voller Bedeutung. Voller Sinn. Der Weg des Essentialismus. Weniger. Aber besser.
Die Notwendigkeit einer bewussten Lebensführung
Mehr ist nicht die Antwort.
Eigentlich ist es so offensichtlich. Doch wir leben in einer Welt, in der dieser Glaubenssatz „mehr ist besser“ herrscht.
Wir wollen immer mehr haben. Mehr Dinge. Mehr Geld. Mehr Möglichkeiten.
Doch das führt automatisch auch zu mehr Verpflichtungen. Mehr Stress. Mehr Überforderung.
Gleichzeitig haben wir gefühlt immer weniger. Weniger Zeit. Weniger Sinn im Leben. Weniger Freiheit.
Man muss kein Essentialist sein, um zu merken, dass da etwas nicht stimmt.
Ein buddhistischer Ökonom würde, die Versuchsanordnung, ein Maximum an Glück durch ein Maximum an Konsum zu finden, für widersinnig halten: ’Da Konsum nichts anderes ist als ein Mittel zum Glück des Menschen, sollte das Ziel sein, ein Maximum an Glück mit einem Minimum an Konsum zu erhalten’.
– Ernst Friedrich Schumacher (Small is Beautiful)
Es gibt nicht die eine Antwort. Die eine Lösung. Und das möchte ich dir auch gar nicht versprechen.
Essentialismus ist viel mehr eine Möglichkeit, Dinge zu sehen. Es ist eine Art und Weise, durchs Leben zu gehen.
Was ist Essentialismus?
Die Erklärung im Duden ist für die meisten eher nichtssagend: Essentialismus ist eine „philosophische Richtung, die den Vorrang des Wesens gegenüber der Existenz zum Inhalt hat“.
Mir geht es vor allem, um den praktischer Ansatz zum Leben. Die Fokussierung auf das Wesentliche. Das lateinische Wort „essentia“ beschreibt es sehr gut: „das Wesen einer Sache“.
Der Weg vom Essentialismus beschreibt ein Leben nach deinem Design und nicht nach den Vorgaben anderer.
Der Kern des Essentialismus
Das ist Essentialismus nicht: Einfach nur ein weiterer Weg, um etwas zu tun. Stattdessen ist es ein anderer Weg, alles zu tun. Es ist ein Weg, zu denken. Zu leben. Zu sein.
Es geht nicht darum, mehr Sachen erledigt zu kommen. Produktiver zu sein. Stattdessen geht es darum, die richtigen Sachen erledigt zu bekommen. Das Wesentliche. Es bedeutet nicht weniger zu tun, einfach um weniger zu tun.
Vielmehr geht es darum, die weiseste Investition, mit seiner Zeit und Energie zu tun, um seinen größtmöglichen und wertvollsten Beitrag – für sich und andere – leisten zu können. Wie? Indem man sich nur auf das Wesentliche fokussiert. Greg McKeown hat mit seiner Arbeit, die Interpretation des Essentialismus enorm geprägt und es auf den Punkt gebracht:
Essentialismus ist der disziplinierte, systematische Ansatz zu untersuchen, wie man den wertvollsten Beitrag leisten kann und dann die Umsetzung dieser Dinge so mühelos wie möglich zu gestalten.
Die 3 falschen Annahmen und die 3 Wahrheiten
Nach Greg McKeown gibt es 3 falsche Annahmen, denen sich ein Nicht-Essentialist hingibt. Diese gilt es auf dem Weg des Essentialismus zu überwinden:
- Ich muss.
- Alles ist wichtig.
- Ich kann beides tun.
Wenn wir nicht aufpassen, verfallen wir diesen falschen Annahmen. Sie halten uns davon ab, uns auf die wesentlichen Dinge zu fokussieren.
Um dem Wesen des Essentialismus näherzukommen, sollten wir diese Annahmen durch die 3 Wahrheiten ersetzen:
- Ich entscheide mich.
- Lediglich sehr wenige Dinge sind bedeutsam.
- Ich kann alles Mögliche, aber nicht alles tun.

Ein Nicht-Essentialist hält fast alles für wesentlich.
Ein Essentialist hält fast alles für unwesentlich.
– Greg McKeown
Essentialismus in der Praxis
Was bedeutet es nun ganz praktisch, sich auf die wesentlichen Dinge zu fokussieren? Theorie und Ideen sind schön und gut, doch letztendlich kommt es auf die Umsetzung an.
Die Philosophie des Essentialismus lässt sich auf sämtliche Bereiche des Lebens übertragen. Doch einige Themen scheinen für die meisten Menschen von besonderer Relevanz. Wenn wir es schaffen würden, nur diese wenigen Themen wirklich zu beherzigen, hätte dies schon einen enormen Einfluss auf unser Leben.
Entscheidungen und Prioritäten
Unser Leben besteht aus Entscheidungen. Jeden Tag treffen wir unzählige Entscheidungen. Auch wenn es uns oft gar nicht bewusst ist. Diese Entscheidungen prägen maßgeblich unser Erleben und unser Leben.
Die Fähigkeit, bewusste und reflektierte Entscheidungen treffen zu können, ist wohl eine der wertvollsten, die wir besitzen. Unsere Prioritäten – was uns wirklich wichtig ist – legen oft die Grundlage für unsere Entscheidungen. Darum sollten wir regelmäßig reflektieren, was unsere Prioritäten momentan sind.
Unsere höchste Priorität ist es, unsere Fähigkeit zur Priorisierung zu schützen.
– Greg McKeown
Entscheidungen sind etwas so essentielles in unserem Leben. Die meisten von uns können ihr Leben jederzeit komplett verändern – natürlich immer mit Kosten und Kompromissen verbunden. Alles, was es dafür braucht, ist eine wahrhaftige Entscheidung.
Doch häufig geben wir diesem Aspekt viel zu wenig Bedeutung. Wir nehmen unsere Fähigkeit zu entscheiden einfach hin.
Wir denken oft, dass die Wahl eine Sache ist. Aber eine Wahl ist keine Sache. Unsere Optionen mögen Sachen sein, aber eine Wahl – eine Wahl ist eine Handlung. Es ist nicht nur etwas, was wir haben, sondern etwas, das wir tun.
– Greg McKeown
Wollen wir Herr über unser Leben werden, müssen wir uns bewusst werden, was wir denn eigentlich wollen. Wir müssen Prioritäten setzen. Erst wenn wir klare Prioritäten und Werte haben, nach denen wir handeln, können wir auch gute Entscheidungen treffen. Ansonsten fehlt uns die Grundlage.
Wenn du in deinem Leben nicht priorisierst, wird es jemand anderes für dich tun.
Stelle dir regelmäßig die Frage: Investiere ich meine Zeit und Energie in die richtigen Dinge?
Gute Entscheidungen zu treffen und zu priorisieren, führt uns wieder zu den 3 Wahrheiten. Anstatt zu denken „Ich muss“, willst du dir immer bewusst sein, dass es deine Entscheidung ist – „Ich entscheide mich“.
Gib die Verantwortung nicht ab. Du bist verantwortlich, was du tust und erlebst. Deine Gedanken und Entscheidungen formen deine Zukunft.
Gleichzeitig sollten wir nicht der falschen Annahme verfallen, dass alles wichtig ist. Denn nicht alles ist gleichsam bedeutend. Nicht alles, stimmt mit deinen Werten überein. Bringt dich deinen Zielen näher. Passt zu deinen Prioritäten.
Sei dir immer bewusst: Lediglich sehr wenige Dinge sind bedeutsam.
Fokus
Wenn du dir deinen Prioritäten sowie der Tatsache, dass nicht alles gleich wichtig ist, bewusst bist, gibt es kein Zurück mehr. Dann wäre es nur unsinnig, sich nicht voll und ganz auf diese Prioritäten zu fokussieren.
Und Fokus meint Laserfokus. Schließlich bist du kein Hund, der sich ständig von einer Fliege, Bällen oder einem Knochen ablenken lässt.
Die Hauptsache ist, dass die Hauptsache die Hauptsache bleibt.
– Stephen Covey
Gary Keller beschreibt in seinem Buch „The One Thing“ die Bedeutung von Fokus und Prioritäten. Es sei immer nur eine Sache, die momentan von größter Bedeutung ist. Wir sollten immer versuchen, diese eine Sache herauszufinden. Denn diese eine Sache wird den größten Einfluss haben und wie ein Dominoeffekt alles andere einfacher gestalten.
Ordne jeden Tag deine Prioritäten neu, finde den Leitdomino und schlage darauf ein, bis er fällt.
– Gary Keller
Stell dir vor, all die Energie, mit der du täglich Dinge erledigst oder anderweitig verbringst, befindet sich vor dir in einem Gefäß. Deine Energie, die dir täglich zur Verfügung steht, ist begrenzt. Doch du kannst entscheiden, ob und wie viel du aus dem Gefäß nimmst und wofür du diese Energie nutzt.
Es ist deine Entscheidung: Nutzt du deine Ressourcen und Energie, um nur einen winzigen Fortschritt in tausend verschiedenen Dingen zu tun? Oder nutzt du sie, um in einer Sache – der wirklich wichtigen – einen riesigen Fortschritt zu machen?
Halte öfters inne und frage dich: Was ist die EINE Sache, die ich tun kann, damit alles andere einfacher oder unnötig wird?
Wenn sich alles dringend und wichtig anfühlt, scheint alles gleich. Wir werden aktiv und beschäftigt, aber das bringt uns dem Erfolg nicht wirklich näher. Aktivität hat oft nichts mit Produktivität zu tun, und Beschäftigtsein kümmert sich selten um das Geschäft.
– Gary Keller
Kompromisse
Wenn es dir wie den meisten Menschen geht, dann hasst du Kompromisse. Auf den ersten Blick scheint das nur logisch. Warum solltest du dich auch mit einem Kompromiss zufriedengeben?
Doch dieser Gedanke kommt nur wieder von einer falschen Annahme. Wir meinen, wir könnten beides tun. Wir könnten alles tun. Natürlich ist dem nicht so. In Wirklichkeit können wir nur sehr wenige Dinge tun.
Du kannst alles Mögliche tun, aber du kannst nicht alles tun.
Wir sollten uns bewusst werden, dass wir immer nur eine Sache gleichzeitig tun können. Wir können nicht an 2 Orten gleichzeitig sein. Wir können nicht 2 Sachen 100 % Aufmerksamkeit geben. Jede Entscheidung für etwas ist gleichzeitig eine Entscheidung gegen alles andere.
Wir können versuchen, die Wirklichkeit von Kompromissen zu ignorieren und zu vermeiden, doch wir werden ihnen nie entkommen. Diese Erkenntnis hat enormen Einfluss auf unsere Entscheidungen. Sie macht es fast zur Notwendigkeit, klare Prioritäten zu setzen.
„Es gibt keine Lösungen. Es gibt nur Kompromisse.“
– Thomas Sowell
Unterschied von Essentialismus und Minimalismus
Das Leben eines Essentialisten ist kein Leben der Reduktion. Das kann man schnell verwechseln. Die Grundidee des Essentialismus ist die gleiche wie vom Minimalismus: Ein bewusstes Leben mit Fokus auf die wichtigen Dinge führen. Niemals ging es um die Reduktion des Reduktion-Willens.
Es ist vielmehr die Einsicht, dass mehr nicht immer besser ist. Im Gegensatz zu der weitverbreiteten Meinung „mehr ist besser“ lebt man einen anderen Glaubenssatz:
Weniger, aber besser.
Ob nun ein Unterschied zwischen Essentialismus, Minimalismus oder einer anderen Philosophie besteht, hängt wohl stark von der Umsetzung ab. Letztendlich ist es auch egal.
Wichtig ist, wie du dein Leben lebst und die Philosophien in dein Leben integrierst. Joshua Fields Millburn und Ryan Nicodemus von The Minimalists beschreiben es ganz treffend:
Nenne es, wie du willst: Egal, welchen -ism du bevorzugst, das Einzige, was zählt, ist, dass es dir hilft, bewusst zu leben. Denke daran: Etiketten helfen, dich zu definieren, aber sie sind nicht du.
– The Minimalists
Das Leben eines Essentialisten
Der Weg des Essentialismus ist definitiv nicht für jeden. Es kann ein schmerzhafter Weg sein. Es ist ein verdammt ehrlicher Weg. Er setzt voraus, ehrlich mit sich selber zu sein. Zu reflektieren, was die eigenen Prioritäten sind und dementsprechend zu handeln.
Anstatt einfach ein Leben nach Vorgabe zu leben, gestaltet man selbst. Man nimmt Verantwortung für das eigene Leben.
Ist dies das Allerwichtigste, was ich jetzt mit meiner Zeit und meinen Ressourcen tun sollte?
– Greg McKeown
Ich kann den Aufschrei schon hören: „Doch im Leben geht es wohl nicht nur darum, produktiv zu sein. Es muss doch nicht immer wichtig sein, was man gerade tut. Wo bleibt der Spaß im Leben?”.
Doch warum sollte es nicht immer darum gehen, sich den wichtigen Dingen zu widmen? Wer sagt, dass dies nicht auch Sachen sein können, die Spaß machen?
Liegt dem nicht eher die Vorstellung zugrunde, dass Sachen, die Spaß machen – wie Spielen –, nicht wichtig sind?
Wenn wir spielen, beschäftigen wir uns mit dem reinsten Ausdruck unserer Menschlichkeit, dem wahrsten Ausdruck unserer Individualität. … Das Spielen hilft uns nicht nur dabei, das Wesentliche zu entdecken. Es ist an und für sich unabdingbar.
– Greg McKeown
Genau darum geht es doch im Essentialismus: Zu erfassen, was einem wichtig im Leben ist. Nicht einfach etwas tun, weil andere es tun. Stattdessen Dinge zu tun, die einem Spaß machen. Die einem Sinn geben. Die wir für wichtig halten. Denn genau diese Dinge gehen in unserem Alltag schnell unter.
Es ist jedoch genau dieser Raum, den wir brauchen, um die wesentlichen Dinge zu erkennen. Der Raum zum Nichtstun, Nachdenken, Spielen, Ausruhen und Schlafen.
Am Ende geht es nicht darum, dass du nach einer bestimmten Philosophie lebst. Stattdessen willst du ein Leben nach deinen Vorstellungen leben. Ein authentisches und ehrliches Leben. Ein Leben, in dem du glücklich bist.
Wie du dieses Leben gestaltest, liegt an dir. Das musst du herausfinden. Der Essentialismus ist nur ein Weg dahin. Es ist nur ein Werkzeug, welches du nutzen kannst. Wähle bewusst und bedacht.